Ein Obstkorb macht noch keine Unternehmenskultur

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Statt einfach Geld in die Personalsuche zu stecken, sollten Sozialunternehmen zunächst die eigenen Strukturen in den Blick nehmen, rät der Kommunikations- und Personalexperte Marc Raschke. Entscheidend seien Führung und Kultur.

Als ChatGPT vor rund einem Jahr einen regelrechten Donnerhall in der Arbeitswelt auslöste, war die Panik groß: Ist dies nun das Ende unseres Arbeitslebens, wie wir es bislang gekannt haben?Werden wir bald alle durch künstliche Intelligenz ersetzt? Und wann geht die Welt dann unter? Solche Reaktionen sind im klassischen Hype-Zyklus von Innovationen vorhersehbar, bringen uns aber in der Regel nur so weit, dass sie uns zum Reflektieren ermuntern. Wo stehen wir eigentlich gerade?

Immer noch …

Angesichts der strukturellen Herausforderungen von Personalabteilungen wirkt die Debatte um künstliche Intelligenz, die natürlich jetzt alle namhaften HR-Konferenzen beherrscht, als geradezu entrückt. Der „War for talents“ hat sich längst zu einem „Kampf um Arbeitskräfte jeglicher Art“ ausgeweitet. Und man muss leider sagen, dass nicht unbedingt die anderen Unternehmen unsere größte Konkurrenz sind. Wir machen uns selbst das Leben oft schwer:
• Immer noch gibt es in vielen Unternehmen altmodische Job-Beschreibungen, die weder suchmaschinenoptimiert noch sonst in irgendeiner Weise ansprechend sind.
• Die wenigsten Personalabteilungen haben eine Personalstrategie, die den Namen auch verdient; d.h. die auch mal ans Übermorgen denkt oder etwa weiß, wie der unternehmensinterne demographische Abgang in den nächsten Jahren gestaltet wird.
• Personalmanagement ist längst keine Aufgabe, die rein in der HR-Abteilung angesiedelt ist. Doch veraltetes Silo-Denken in Verwaltungen bremst aus, wo es eigentlich Dynamik und Geschwindigkeit bräuchte.
• Bewerbungsprozesse sind nach wie vor vielfach zu kompliziert und laden deshalb förmlich ein, sie als potenzieller Bewerber abzubrechen.
• Ein strukturiertes On- und Off-Boarding ist in der Mehrzahl der Unternehmen leider immer noch eine echte Rarität, zugleich aber ein spürbarer Gewinn für „lernende Organisationen“, wenn man es denn fortwährend umsetzt.
• Tja, und dann ist da das Thema Führung; sowie vielerorts die Angst, mit Mitarbeitenden in ein ehrliches Gespräch zu gehen.

Daher meine These: Bevor diese Hausaufgaben nicht erledigt sind, lohnt kein nachhaltiges Personalmarketing. Sie können natürlich mit viel, viel Geld und mindestens ebenso viel Frustrationstoleranz den Arbeitsmarkt durchpflügen – in der Hoffnung, dass das Viel eben viel hilft. Doch spätestens beim Erstkontakt mit Ihrem Unternehmen bricht die Fassade ein, die Sie so mühsam errichtet haben, wenn die Struktur dahinter nicht stimmt.

Führungskultur lässt sich nicht einkaufen

Der Ansatzpunkt für einen Wandel liegt wo? Im Führungsverhalten, richtig. Und das fängt bereits in der HR-Abteilung an. Immer noch ist dort der Anteil jener Führungskräfte groß, die einen juristischen Background haben. Als würde Personalarbeit heutzutage immer noch im Schwerpunkt daraus bestehen, Arbeitsverträge zu erstellen oder zu
kündigen. Nüchtern betrachtet muss man aber feststellen, dass es heute an der Spitze von Personalabteilungen andere Kompetenzen braucht, um überhaupt in die Nähe eines Vertragsabschlusses zu kommen. Man könnte auch sagen: Die „HR-Gestaltenden“ haben den „HR-Verwaltenden“ den Rang abgelaufen.

Leider wird das bei Stellenbesetzungen für HR-Spitzenposten immer noch zu wenig berücksichtigt. Denn leider denken immer noch viele Unternehmen, dass sie sich „das bisschen Kulturarbeit und Führungswandel“ extern einkaufen können. Dabei würde es umgekehrt genauso funktionieren, nämlich sich Rechtsberatung für Verträge von extern zu holen und dafür z.B. Kulturwissenschaftler:innen oder Führungs-Expert:innen auf den Posten einer Personalleitung zu setzen.

Schluss mit den Plattitüden

Beide Themen, nämlich eine gute (Unternehmens-)Kultur und eine gute Führung, sind Kernanforderungen für Arbeitnehmer:innen, die sich auf dem Stellenmarkt umsehen. Das zeigen diverse Studien. Und es verwundert ja auch nicht. Schließlich sind beides entscheidende Einflussgrößen, die sich bedingen und einen Arbeitsplatz dauerhaft attraktiv halten. Zugleich sind beide Themenfelder oft sehr unterrepräsentiert in der Außenkommunikation. Das mag auch daran liegen, dass viele Unternehmen gar nicht genau wissen, was sie da ins „Schaufenster“ stellen sollen. Was ist denn unsere Kultur? Ist das nicht der Obstkorb auf Station? Oder der Tischkicker im Büro? Und dass wir uns auf Augenhöhe begegnen, ist das nicht Führung?

Ich sage es ganz ehrlich: nein, denn es sind Plattitüden. Quasi ein vermeintliches gewünschtes Verhalten (von Arbeitgeber:innen) in der Hoffnung, dass es auf der gegenüberliegenden Seite ebenso gewünschtes Verhalten (bei Arbeitnehmer:innen) im positiven Sinne hervorruft. Es ist quasi der in der Psychologie bekannte „Barnum-Effekt“ auf Organisations-Ebene: Aussagen über uns als Unternehmen sind derart vage, dass wir der Meinung sind, das müsste doch beim Gegenüber verfangen; darin müsste er sich doch wiederkennen. „Der Mensch im Mittelpunkt“ ist z.B. so eine Aussage, gerade in sozialen Einrichtungen sehr beliebt und zugleich oft inhaltsleer.

Endlich Zeit für die wichtigen Dinge

Auch ChatGPT wird Ihnen da übrigens beim Suchen und Finden von Kultur und Führung in Ihrem Unternehmen nicht weiterhelfen, da die KI quasi ein „stochastischer Papagei“ ist, also alles das nachplappert, was es im Netz so findet. Und das ist in der Regel: Durchschnitt. Zeitgleich wird Ihnen ChatGPT aber dauerhaft dabei helfen, Freiräume zu kreieren, in denen Sie sich der Kultur- und Führungsarbeit widmen können. Denn wenn die KI viele Routinearbeiten einer HR-Abteilung dereinst übernehmen wird, haben Sie Ressourcen frei, um sich den wirklich wichtigen Dingen im Personalbereich zu kümmern: der nachhaltigen Gewinnung und Bindung von Mitarbeiter:innen.

Zum Autor

Marc Raschke ist Co-Gründer der PR/HR-Agentur Blaulicht in Hamburg und war davor Leiter der Unternehmenskommunikation des Klinikums Dortmund. 

 

Hinweis: Dieser Text erschien zunächst im VdDD-Mitgliedermagazin "diakonie unternehmen" 2/23, das VdDD-Mitgliedern kostenfrei zur Verfügung steht.